Einleitung: Die neue Angst vor der unsichtbaren Kontrolle
Nachdem Teil I unseres Wochenend-Dossiers die pharmakologischen und ökonomischen Wurzeln der Depopulationsdebatte beleuchtet hat, tauchen wir heute in jene Sphäre ein, die für viele Theoretiker das eigentliche Nervenzentrum eines globalen Reduktionsplans darstellt:
Technologie. Genetik. Daten. Überwachung. Die Digitalisierung des Lebens selbst.
Die zugrunde liegende Befürchtung lautet:
Wer Daten besitzt, besitzt Macht – und wer Macht besitzt, entscheidet über die Größe der Menschheit.
Doch ist diese Vision ein realer Masterplan oder lediglich ein Spiegel kollektiver Ängste?
In Teil II analysieren wir vier Bereiche, die besonders stark im Fokus der Depopulationstheorien stehen: künstliche Intelligenz, GMO, Biometriedaten und geopolitische Destabilisierung.
Das digitale Imperium – Waffe oder Wunderwerk?
1. KI als Werkzeug der Bevölkerungsreduktion?
Verschwörungstheoretiker sehen in der KI nicht ein technisches Hilfsmittel, sondern ein Instrument zur „gesellschaftlichen Kompression“. Drei Argumentationslinien sind besonders verbreitet.
A: KI ersetzt Menschen – und macht „Überbevölkerung“ überflüssig
Tatsächlich zeigt der Future of Jobs Report 2023 des World Economic Forum, dass bis zu 44 Prozent der Arbeitsplätze automatisiert oder transformiert werden könnten.
Theoretiker deuten diese Zahl als Hinweis, dass menschliche Arbeitskraft künftig „überflüssig“ werde – und damit auch die Menschen selbst.
Die Schlussfolgerung in einschlägigen Kanälen:
„Eine kleinere Bevölkerung ist leichter zu steuern und billiger zu unterhalten.“
B: Algorithmen könnten Menschen selektieren
Der MIT-Ethiker Daniel Richards warnte 2024, dass fehlerhafte Versicherungs- oder Kreditscoring-Systeme ganze Bevölkerungsgruppen benachteiligen können.
Im Netz wurde seine Warnung jedoch umgedeutet: von einem Hinweis auf algorithmische Ungerechtigkeit zu einer vermeintlichen „digitalen Eugenik“.
C: Gesundheits-KI entscheidet über Leben und Tod
Krankenhäuser nutzen KI-Systeme zur Risikoanalyse und Therapieempfehlung.
Theoretiker befürchten jedoch, dass eines Tages „therapeutische Priorität“ nach ökonomischen oder politischen Kriterien vergeben werden könnte.
Die wissenschaftliche Lage
Der EU-Bericht AI Risk Governance Report 2024 widerspricht klar:
- KI ist mächtig, aber nicht autonom
- Entscheidungen treffen weiterhin Menschen
- Risiken entstehen aus Fehlregulierung, nicht aus Depopulationsabsicht
KI kann missbraucht werden – aber sie verfolgt keinen eigenen Plan.
2. GMO – Ernährungsrevolution oder genetische Gefahr?
Kaum ein Bereich ist emotional so aufgeladen wie Gentechnik in Lebensmitteln.
Theorien behaupten, GMO diene dazu, langfristige Sterilität oder Krankheiten zu verursachen.
Drei Argumente werden besonders häufig verwendet.
1. „Sterile Samen“ und Bill Gates
Gern wird behauptet, Gates unterstütze „Terminator Seeds“ – gentechnisch steriles Saatgut.
Tatsache ist: Dieses Konzept wurde in den 1990er-Jahren erforscht, aber nie zugelassen oder vermarktet. Es existiert nicht im globalen Einsatz.
2. Sergei Karzov und hormonelle Effekte
Ein Interview des russischen Genetikers Sergei Karzov aus dem Jahr 2020 wird oft zitiert, in dem er spekuliert, bestimmte GMO-Pflanzen könnten hormonelle Veränderungen verursachen.
Doch Karzov lieferte keine Daten, keine Studien, keine peer-reviewten Belege.
3. Vandana Shiva und die Abhängigkeit der Bauern
Die indische Aktivistin kritisiert zurecht wirtschaftliche Abhängigkeiten durch patentiertes Saatgut.
Verschwörungstheoretiker erweitern diese Kritik jedoch zum Narrativ einer „landwirtschaftlichen Bevölkerungssteuerung“.
Was sagen Studien?
Die Global GMO Safety Meta-Study 2022 (über 1.800 Publikationen) findet:
- keine reproduzierbaren Hinweise auf toxische Effekte
- keine Hinweise auf Unfruchtbarkeit
- keine systematische Gesundheitsgefährdung durch regulierte GMO
Das Problem ist ökonomisch – nicht demografisch.
3. Biometrie & Digitalidentitäten – Ein Käfig aus Daten?
Digitale IDs, Gesichtserkennung, Impfpässe, bargeldlose Zahlungssysteme – all diese Entwicklungen lassen Theoretiker an eine globale Steuerung glauben.
Der Vorwurf lautet:
Überwachung = Kontrolle = indirekte Bevölkerungspolitik
Zentral zitiert wird eine Aussage des Weltbank-Ökonomen Marc Renaud aus 2023:
„Digitale IDs sind notwendig, um globale Mobilität und Versorgung zu sichern.“
In Foren wird daraus:
„Digitale IDs sind notwendig, um Menschen zu kontrollieren.“
Die unabhängigen Analysen
Der Bericht Biometric Governance Review 2024 der Universität Amsterdam kommt zum nüchternen Ergebnis:
- Digitale IDs bergen Datenschutzrisiken
- Gesichtserkennung kann missbraucht werden
- Bargeldlosigkeit schafft Abhängigkeiten
Doch:
Keine dieser Technologien reduziert demografisch die Bevölkerung.
Sie können Freiheit einschränken – nicht aber Menschen verringern.
4. Geopolitische Krisen – Kriege als letztes Werkzeug?
Viele Theorien argumentieren, globale Mächte würden Konflikte bewusst befeuern, um:
- Bevölkerungen zu reduzieren
- Ressourcen neu zu verteilen
- politische Systeme zu destabilisieren
Als Verweis wird gern Henry Kissinger zitiert:
„Kontrolliere das Öl und du kontrollierst Staaten.“
Für Verschwörungstheoretiker ist das ein Code:
„Kontrolliere Konflikte – und du kontrollierst Menschen.“
Was sagen sicherheitspolitische Institute?
Der Stockholm Peace Research Institute Report 2024 widerspricht deutlich:
- Moderne Kriege reduzieren nicht global die Bevölkerung
- Sie destabilisieren Regionen, erhöhen aber oft Fertilitätsraten danach
- Motive für Kriege sind Machtpolitik, Ressourcen und Fehleinschätzung – nicht Demografie
Die Theorie, Kriege seien ein gezieltes Bevölkerungswerkzeug, hält den Daten nicht stand.
Kontrolle, Chaos oder kollektive Projektion?
Die Vorstellung einer „technologischen Bevölkerungswaffe“ wirkt deshalb so attraktiv, weil sie:
- reale Risiken überzeichnet
- Technologie moralisch auflädt
- diffuse Zukunftsängste bündelt
- komplexe Entwicklungen personalisiert
Doch die Faktenlage zeigt ein anderes Bild:
Es existiert keine kohärente, globale Depopulationsstrategie.
Was existiert, ist eine Welt voller mächtiger Technologien – oft schlecht reguliert, selten transparent, manchmal beunruhigend, aber nicht gezielt tödlich.
Technologie kann Menschen kontrollieren. Aber sie entscheidet nicht über ihre Zahl.
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