Wien – Der Sozialausschuss im Parlament wurde heute zum Schauplatz intensiver politischer Auseinandersetzungen um die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Zukunft der Pflege.
Während Grüne und FPÖ mit weitreichenden Anträgen aufs Gas drückten, trat Sozialministerin Korinna Schumann auf die Bremse, verwies auf die angespannte Budgetlage und sah sich gleichzeitig mit scharfer Kritik der Opposition konfrontiert. Am Ende wurden alle Vorstöße von ÖVP, SPÖ und NEOS vertagt – die heißen Eisen bleiben vorerst kalt.
Grüne: Mobilitätszuschuss-Kürzung sofort stoppen
Für Aufregung sorgte die drastische Kürzung des Mobilitätszuschusses für Menschen mit Behinderungen im Jahr 2025. Grünen-Sozialsprecher Ralph Schallmeiner forderte vehement die unverzügliche Rücknahme dieser Reduzierung, die laut ihm mehr als 50 % gegenüber 2024 beträgt. Er verlangte, den Zuschuss inflationsangepasst auf bisherigem Niveau auszuzahlen, da viele Betroffene auf Pkw oder Taxi angewiesen seien.
Ministerin Korinna Schumann verteidigte die Maßnahme mit dem Minus im Ausgleichstaxfonds, das eine Beibehaltung der vollen Höhe unmöglich mache. Sie müsse den Realitäten der Budgetsanierung Rechnung tragen, versuche aber, die Sanierungsmaßnahmen sozial verträglich zu gestalten. SPÖ-Abgeordnete Verena Nussbaum unterstützte die Vertagung, verwies aber auf unterstützende steuerliche Maßnahmen zur Mobilitätssicherung der Betroffenen.
FPÖ will Rechtsanspruch auf „Persönliche Assistenz“
Die FPÖ drängt auf einen Rechtsanspruch auf „Persönliche Assistenz“ für Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Bildung und Beruf. FPÖ-Abgeordneter Christian Ragger betonte unter Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention die Notwendigkeit dieses zentralen Instruments für die gleichberechtigte Teilhabe, auch für Menschen mit intellektuellen Behinderungen, wie es die Lebenshilfe fordere.
NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler konterte mit einem Vertagungsantrag und erhob schwere Vorwürfe gegen die Glaubwürdigkeit der Freiheitlichen, da diese Menschenrechte nur selektiv einforderten und in Regierungszeiten Verschlechterungen (etwa bei der Barrierefreiheit) mitgetragen hätten. FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch wies die Vorwürfe energisch zurück und datierte die angesprochenen Änderungen noch vor die FPÖ-Regierungsbeteiligung. Ministerin Schumann sah das Anschubprojekt des Bundes auf Dauer als nicht finanzierbar an, setzte aber auf gemeinsame Lösungen mit den Ländern.
Freiheitliche Turbo-Pflegereform: Höheres Pflegegeld & Entlastung
Mit einem umfassenden Maßnahmenkatalog für eine „echte Pflegereform“ trat die FPÖ in die Debatte. Abgeordneter Christian Ragger kritisierte die Regierungspläne als unzureichend und forderte unter anderem:
- Eine zentrale Zielsteuerung in der Pflege.
- Eine faire Entlohnung für Pflegekräfte (einheitliche Gehaltsmodelle, steuerliche Entlastung von Überstunden).
- Einen ergänzenden Pflegescheck zum Pflegegeld.
- Entlastung des Personals durch Digitalisierung und KI-gestützte Dokumentation.
- Einen besseren Personalschlüssel in Heimen.
- Eine Erhöhung des Pflegegeldes um 50 % ab Stufe 3 für die Pflege zu Hause.
ÖVP-Abgeordnete Elisabeth Scheucher-Pichler sah zwar gute Chancen für Fortschritte, betonte aber die Notwendigkeit einer Reformpartnerschaft mit den Bundesländern. Ministerin Schumann begrüßte die Ideen, sah den Einsatz von KI ebenfalls als Chance zur Bürokratieentlastung und verwies auf die Pflege-Entwicklungs-Kommission zur Bündelung der besten Ideen der Länder, die auf einem guten Weg sei.
Pflege zu Hause & Einzelzimmer-Kosten im Fokus
Weitere FPÖ-Anträge von Christian Ragger zielten auf eine Forcierung der Pflege zu Hause, die dem Wunsch vieler Betroffener und der Entlastung des stationären Systems entspreche. Er schlug konkret einen Pflegescheck von 1.500 € zur Ergänzung des Pflegegelds, die Abschaffung des „faktischen Pflegeregresses“ bei der 24-Stunden-Betreuung und ebenfalls die 50%-Erhöhung des Pflegegeldes ab Stufe 3 bei häuslicher Pflege vor. NEOS-Abgeordnete Fiedler kritisierte hier eine Unschlüssigkeit durch mangelnde Unterscheidung von Betreuung und Pflege.
Auch die Privatsphäre in Heimen war ein Anliegen: Ragger forderte eine Deckelung des Einzelzimmerzuschlages auf ein leistbares Maß, mit dem Land Steiermark als Vorbild. SPÖ-Abgeordnete Barbara Teiber rechtfertigte die Vertagung, da das Thema Pflegeheime primär die Länder betreffe.
Analog-Recht gegen digitalen Zwang
Ein weiterer Antrag, eingebracht von FPÖ-Abgeordnetem Peter Wurm, forderte ein Recht auf analoge, persönliche Inanspruchnahme staatlicher Dienstleistungen der Verwaltung, Justiz und Daseinsvorsorge. Wurm kritisierte die digitale Verdrängung des Zugangs zum Rechtsstaat und die damit verbundene Ausgrenzung von Älteren oder Bürgern mit gesundheitlichen Schwierigkeiten. SPÖ-Abgeordneter Michael Seemayer vertagte den Antrag mit dem Hinweis, die Forderungen seien bereits Teil des Regierungsprogramms und in Umsetzung.
Die heutige Sozialausschuss-Sitzung endete ohne konkrete Beschlüsse: Alle weitreichenden Anträge von Grünen und FPÖ – von der Rücknahme der Mobilitätszuschuss-Kürzung bis zur umfassenden Pflegereform samt Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz – wurden durch die Stimmen der Regierungsparteien (ÖVP, SPÖ) und der NEOS vertagt. Die Regierung berief sich auf die Budgetlage und laufende Verhandlungen, während die Opposition der Ministerin und der Koalition mangelnden politischen Willen vorwarf.
Quelle „Parlamentsdirektion“
Pflege und Mobilität: Die Debatte ist vertagt, die Probleme bleiben.