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Die unsichtbare Hand der Macht

Die Frage, wer in Demokratien tatsächlich die Fäden zieht, ist so alt wie die Politik selbst. In den letzten Jahren hat ein Begriff die Debatte dominiert: der „Tiefe Staat“ (Deep State).

Dieses Konzept beschreibt ein Geflecht aus nicht gewählten Beamten, Geheimdienststrukturen, militärischen Netzwerken und mächtigen Wirtschaftsinteressen, das angeblich die offiziell gewählte Regierung im Geheimen steuert oder sabotiert.

Viele Bürger fragen sich: Ist das eine haltlose Verschwörungstheorie oder eine beunruhigende Realität, die auch in Europa – und speziell in Österreich – politische Prozesse und unser tägliches Leben beeinflusst? Der Verdacht, dass eine „alte Elite“ oder ein „Establishment“ im Hintergrund die Politik lenkt, ist tief verwurzelt. Dieser Artikel beleuchtet die Mechanismen, die mutmaßlichen Akteure und die konkreten Beispiele dieser Schattenmacht, von Washington D.C. bis in die Wiener Hofburg.

USA: Der Ursprung der Debatte – Kennedy und Trump

Das Konzept des „Tiefen Staates“ erlangte in den Vereinigten Staaten von Amerika seine größte Prominenz. Hier wird angenommen, dass mächtige Institutionen wie die Central Intelligence Agency (CIA), das Federal Bureau of Investigation (FBI), Teile des Pentagons und der Finanzsektor (Wall Street) eine eigene Agenda verfolgen, die über Amtszeiten von Präsidenten hinausgeht.

Ein frühes Beispiel lieferte Präsident John F. Kennedy. Nach der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht im Jahr 1961 soll Kennedy derart von der CIA enttäuscht gewesen sein, dass er Berichten zufolge plante, die Agency „in tausend Stücke zu zerschlagen und in alle Winde zu zerstreuen“. Sein tragisches Attentat in Dallas befeuerte bis heute die Spekulationen über eine Verwicklung des „Tiefen Staates“.

Jüngst wurde das Narrativ unter Präsident Donald Trump wiederbelebt. Trump beschuldigte das „Deep State“-Geflecht, das er oft als „Swamp“ (Sumpf) bezeichnete, öffentlich und wiederholt. Er sah in den Ermittlungen gegen ihn (etwa die Mueller-Ermittlungen zur Russland-Affäre) eine gezielte Opstruktion seiner Politik durch „illegale, nicht gewählte Kräfte“ im Justizministerium und den Geheimdiensten. Trumps ehemaliger Chefstratege, Steve Bannon, sah sich als Teil des Kampfes gegen diese unheilvolle Allianz.

Europa im Würgegriff: Brexit, Deutschland und die „Globalisten“

Auch in Europa ist die Vorstellung einer verborgenen Macht präsent:

  • Vereinigtes Königreich (Großbritannien): Während der Brexit-Debatte wurde der Begriff „Establishment“ zum Synonym für den „Tiefen Staat“. Prominente Brexit-Befürworter wie Nigel Farage und spätere Premierminister wie Boris Johnson sahen sich stets im Kampf mit einem zutiefst europafreundlichen Beamtenapparat und Eliten in London, die den Austritt aus der Europäischen Union sabotieren wollten. Namen wie der ehemalige Kabinettssekretär Sir Jeremy Heywood wurden als Symbole dieser Macht genannt.
  • Deutschland: Hier manifestieren sich die Bedenken oft in Form von Misstrauen gegenüber dem Einfluss fremder Mächte und internationaler Organisationen. Populäre Theorien beinhalten die Vorstellung, dass die deutsche Politik unter der Führung von Kanzlerinnen wie Angela Merkel maßgeblich von US-Interessen oder globalistischen Denkfabriken wie dem Council on Foreign Relations oder der Bilderberg-Gruppe gesteuert wird. Die Angst vor einer übermächtigen, nicht transparenten Struktur im Herzen der Republik ist besonders bei Bürgerbewegungen weit verbreitet.
  • Frankreich: Im Land der Grande Nation richten sich die Spekulationen häufig gegen die „Globalisten“ und den Finanzsektor. Kritiker der Politik von Präsidenten wie Emmanuel Macron (einem ehemaligen Investmentbanker) behaupten, dass die französische Wirtschaft und Politik von globalen Finanzorganisationen und Konzernen, anstatt vom Élysée-Palast, kontrolliert werden. Die Proteste der „Gelbwesten“ (Gilets Jaunes) waren auch ein Ausdruck dieses tief sitzenden Misstrauens gegen die Pariser Elite.
Österreich: Die „Alte Elite“ und das Netzwerk der ÖVP-Einflussnahme

Für AustriaAktuell.at ist die Situation in der Heimat von besonderem Interesse. In Österreich wird weniger vom „Deep State“ als vielmehr von der „alten Elite“, der „Beamtenschaft“ oder den „Freunderlwirtschaft-Netzwerken“ gesprochen. Die Spekulationen drehen sich darum, dass einflussreiche Kreise, unabhängig vom Ausgang der Nationalratswahlen, die eigentlichen Entscheidungen im Hintergrund treffen.

Dieses Netzwerk soll sich über folgende Bereiche erstrecken:

  1. Die Kammern und Sozialpartner: Die traditionelle Sozialpartnerschaft (Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Landwirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund) hat historisch gesehen enorme Macht. Ihre Funktionäre üben durch die Vorbereitung von Gesetzen und ihre Rolle in der Lohnpolitik einen Einfluss aus, der weit über den der gewählten Politiker hinausgeht. Die enge Verzahnung mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) über Jahrzehnte hinweg gilt als das Paradebeispiel dieser „Schattenmacht“.
  2. Staatsnahe Betriebe und Aufsichtsräte: Schlüsselpositionen in Unternehmen wie der ÖBB, der OMV oder der Verbund AG sind oft mit politisch nahestehenden Personen besetzt. Diese Posten, die oft mit ehemaligen Spitzenpolitikern der SPÖ oder ÖVP besetzt sind (man denke an die Diskussionen um Besetzungen in den Vorständen), gewährleisten, dass die „alte Schule“ die Kontrolle über strategische Sektoren behält, ungeachtet der aktuellen Regierungskonstellation.
  3. Die „Bunker-Elite“ der Ministerien: Unkündbare oder nur schwer versetzbare Spitzenbeamte in wichtigen Sektionen der Ministerien (Finanzen, Inneres) können Gesetzesvorhaben verzögern, abmildern oder in ihrem Sinne interpretieren. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel ist das Bundesministerium für Finanzen, dessen hochspezialisierte Beamte oft als die eigentlichen Hüter der Budgetdisziplin gelten – mächtiger als der jeweilige Finanzminister selbst. Die Sektionen des Bundesministeriums für Inneres und die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) werden ebenfalls regelmäßig Gegenstand von Mutmaßungen über politische Einflussnahme.

Die Skandale der letzten Jahre, wie die Ibiza-Affäre und die Ermittlungen rund um ehemalige Kanzler wie Sebastian Kurz, haben das Misstrauen in die Korrumpierbarkeit und Vernetzung dieser „alten Elite“ noch weiter verstärkt.

Die Rolle der Medien: Der vierte Stand als fünfte Kolonne?

Ein zentrales Element des mutmaßlichen „Tiefen Staates“ ist die Macht über die öffentliche Meinung. Die Medien, der sogenannte Vierte Stand, sollten eigentlich die unabhängigen Kontrollore der Macht sein. Doch sie werden oft selbst zum Instrument.

Die Einflussnahme erfolgt subtil:

  • Besitzverhältnisse: Die Konzentration von Medienbesitz in den Händen weniger mächtiger Verlage oder Unternehmer (man denke an die Diskussionen um große österreichische Medienhäuser und deren Verbindungen zu Politikern) führt zu einer impliziten politischen Linie.
  • Inseratenkorruption: In Österreich wird dieser Punkt besonders scharf diskutiert. Die Vergabe staatlicher Inserate und Werbebudgets an bestimmte Medienhäuser dient als finanzielle Waffe und Belohnung. Dies verzerrt die Berichterstattung, da kritische Stimmen Gefahr laufen, diese wichtigen Einnahmequellen zu verlieren.
  • Personalpolitik: Die Besetzung von Chefredaktionen und Schlüsselpositionen mit Personen, die der herrschenden politischen oder wirtschaftlichen Elite nahestehen, sichert die konforme Berichterstattung.

Die Konsequenz ist eine selektive Darstellung der Realität, ein „Framing“ von Themen und die Schaffung einer verzerrten öffentlichen Wahrnehmung, die den Interessen der verborgenen Netzwerke dient.

Kritische Distanz als Abwehrmechanismus

Die Behauptung, dass gewählte Regierungen machtlos gegen ein omnipräsentes Schattensystem seien, ist ein Extrem. Doch die Existenz von Einflussnetzwerken, Lobbys, Korruption und der Macht von nicht gewählten Spitzenbeamten ist in jeder Demokratie eine Tatsache.

Der Kampf gegen diese undemokratischen Einflüsse kann nicht allein von der Politik gewonnen werden. Er beginnt bei jedem einzelnen Bürger. Die goldene Mitte liegt in der informierten und kritischen Distanz.

Wir müssen:

  1. Quellen überprüfen: Trauen Sie nicht blind einer einzigen Nachricht. Suchen Sie nach unabhängigen, verifizierten Informationen und vergleichen Sie die Berichterstattung.
  2. Medienkompetenz stärken: Hinterfragen Sie die Finanzierung und die Besitzerstruktur von Medien. Fragen Sie, wessen Interessen durch eine bestimmte Berichterstattung bedient werden könnten.
  3. Widerstand der Vernunft: Nur durch eine breite Öffentlichkeit, die sich ihrer eigenen Urteilskraft bedient und sich nicht in Polarisierung drängen lässt, kann das Fundament der Demokratie gegen die Erosion durch die Schattenmächte gestärkt werden.

Die Tiefen des Staates sind nur so tief, wie wir sie selbst lassen.

BehauptungQuelle/Beleg
John F. Kennedy plante angeblich, die CIA „in tausend Stücke zu zerschlagen“.Die Behauptung ist ein zentraler Pfeiler der Verschwörungstheorien zum JFK-Attentat. Sie wird durch Memoiren und Aussagen von Zeitzeugen gestützt, ist aber nicht bewiesen. Quellen wie die New York Times und historische Biografien berichten über Kennedys massives Misstrauen in die CIA nach der Invasion in der Schweinebucht (1961).
Donald Trump beschuldigte den „Deep State“ und den „Sumpf“ der Opstruktion (z. B. Mueller-Ermittlungen).Dies ist historisch belegt. Zahlreiche Medien (z.B. Wiener Zeitung, ZDFheute, The New York Times) dokumentierten Trumps öffentliche Äußerungen auf Twitter und bei Kundgebungen. Er forderte die „Austrocknung des Sumpfes“ und nannte das Justizministerium/FBI oft Teil dieser Struktur.
BehauptungQuelle/Beleg
Brexit-Befürworter beschuldigten das „Establishment“ der Sabotage.Dies ist eine politische Tatsachenbehauptung, die von führenden Brexit-Befürwortern wie Nigel Farage und Boris Johnson wiederholt geäußert wurde. Analysten belegen, dass ein Teil der britischen Beamten- und Gerichtselite dem Brexit kritisch gegenüberstand, was das Misstrauen schürte. (Siehe Analysen des Chatham House oder Berichterstattung des Guardian zur Rolle der Beamtenschaft).
Deutsche und Franzosen misstrauen dem Einfluss von „Globalisten“ und Think Tanks.Dies ist eine soziologische Beobachtung und ein Kernnarrativ von Anti-Establishment-Bewegungen (z.B. Pegida, Gilets Jaunes). Akademische Studien zu Populismus und Verschwörungstheorien (z.B. von der Friedrich-Ebert-Stiftung oder deutschen Universitäten) belegen die Verbreitung dieser Narrative.
BehauptungQuelle/Beleg
Existenz einer „alten Elite“ und „Beamtenschaft-Macht“ in Österreich.Dies wird von Politikwissenschaftlern und Publizisten wie Richard Saage (der das Buch „Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“ verfasste) als theoretisches Konzept zur Beschreibung politischer Elitennetze verwendet. Die Macht der Sozialpartner und des Beamtenapparates ist ein Grundpfeiler der österreichischen Politikforschung.
Inseratenkorruption als finanzielle Waffe zur Beeinflussung von Medien.Empirisch belegt und Gegenstand von Ermittlungen. Medienforscher wie Andy Kaltenbrunner (Medienhaus Wien) kritisierten in Interviews mit dem Deutschlandfunk und anderen Medien, dass Österreich ein Vielfaches pro Kopf für Regierungsinserate ausgebe als Deutschland, was zu einer existenziellen Abhängigkeit der Medien führe. Die WKStA-Ermittlungen gegen Sebastian Kurz und seine Umgebung (sog. „Inseratenaffäre“) stützen den Verdacht der Zweckentfremdung von Steuergeldern für positive Berichterstattung.
Besetzung von staatsnahen Betrieben (ÖBB, OMV, Verbund AG) durch politische Nähe (Freunderlwirtschaft).Allgemein anerkannte Realität in Österreich. Dies ist ein seit Jahrzehnten kritisierter Mechanismus der österreichischen „Proporzdemokratie“ und „Postenbesetzung“. Die Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen nach parteipolitischen Kriterien ist regelmäßig Thema in Qualitätsmedien (Der Standard, Falter) und parlamentarischen Anfragen.
BehauptungQuelle/Beleg
Think Tanks dienen als Paravan für politische Ideologien/Interessen.Akademisch belegt. Die Rolle von Think Tanks (wie dem American Enterprise Institute (AEI) oder der Heritage Foundation) als Lobby-Organisationen und Einflussnehmer ist in der Politikwissenschaft gut untersucht. Ihre oft intransparente Finanzierung wird von Organisationen wie Transparency International und kritischen Journalisten bemängelt.
Beispiel Konrad-Adenauer-Stiftung (Deutschland).Öffentlich bekannte Tatsache. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ist die politische Stiftung der CDU. Ihre Verbindung zur Partei und ihr Einfluss auf die politische Bildung sind transparent und öffentlich zugänglich auf ihrer Website. Gleiches gilt für die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) oder die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP).

Von admin

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